Sofia bis Rila – Wenn aus Reden Reisen wird
- Levi Michi
- 10. Juli
- 9 Min. Lesezeit
Manche Reiseziele begleiten einen über Jahre – nicht auf der Landkarte, sondern in Gesprächen, Träumen und Sätzen, die immer mit „Weißt du, ich habe gehört...“ beginnen. So ging es mir mit Bulgarien. Oder besser gesagt: uns. Denn wenn jemand die Fahne für Bulgarien hochgehalten hat, dann war es meine Tante. Ihre Begeisterung kam nie von eigenen Erlebnissen, sondern von Erzählungen– aber sie klangen so lebendig, als wäre sie längst dort gewesen. Und ich? Ich wollte immer ins Rilagebirge. Irgendwann. Vielleicht. Später.
„Später“ war dann viele Male. Immer war da etwas, was uns aufhielt: Sorgen um Sicherheit, Vorurteile über Armut, Geschichten über Kriminalität, Respekt vor einem Balkanland. Und doch blieb da anscheinend diese Sehnsucht – die sich irgendwann lauter meldet als alle Zweifel.
Dieses Mal haben wir es gemacht. Einfach so. Ohne Sorgen, ohne Plan B – dafür mit offenen Herzen und zwei Zielen im Gepäck: Sie nach Sofia, ich in die Berge. Zwei Träume, eine Reise.
Anreise
Also stiegen wir ein – von Wien nach Sofia. Ein kleiner, netter Flieger, der uns mit einer Extraportion Turbulenzen beglückte, obwohl draußen fast postkartenverdächtiges Sonnenwetter herrschte. Dennoch schaukelte der Pilot uns souverän durch den wolkenlosen Himmel, nur um uns dann in knackigen 40 Grad auf dem Rollfeld in Sofia abzuliefern.
Willkommen in Sofia – Schweißattacke inklusive! Die Anreise zum Hotel verlief dafür überraschend unkompliziert. Unser Taxifahrer war eher wortkarg, aber fuhr ruhig, und schon während der Fahrt erspähten wir aus dem Fenster ein paar beeindruckende Gebäude, grüne Alleen und blitzblanke Gehwege. Irgendwie hatte ich mit mehr Chaos gerechnet, mehr Dreck, mehr „Osteuropa-Klischee“ – aber Sofia präsentierte sich uns gleich zu Beginn von seiner besten Seite. Grün, sauber, aufgeräumt – fast so, als wollte uns die Stadt beweisen, dass all die Bedenken vorher völlig unnötig waren. Und, Spoiler: Sie hatte recht.

Sightseeing, Straßenrätsel und ein kühles Bier zum Tagesabschluss
Nach einer kurzen Pause im Hotel machten wir uns endlich auf in die Stadt – ein bisschen Sightseeing stand auf dem Programm. Vom lebhaften, modernen Zentralmarkt, ging es weiter zur Banja Baschi-Moschee, ein kleines, aber feines architektonisches Juwel. Dann steuerten wir die Statue von Sofia an, das Wahrzeichen der Stadt. Und genau hier begann unser erstes echtes Kopfzerbrechen: Wie kommen wir nur über diese Straßen? Nach einigen verwirrten Blicken und vorsichtigen Schritten wurde uns klar, dass man in Sofia offenbar nicht einfach so über die Straße läuft, sondern unter ihr hindurch. Jede Kreuzung besitzt eine kleine Unterführung mit Stiegen, die einen sicher auf die andere Straßenseite bringen. So elegant hatte ich mir das nicht vorgestellt – aber praktisch ist es allemal!
Weiter ging’s zur Rotunde des Heiligen Georg, diesem roten Kleinod aus der Antike, und zur beeindruckenden Kathedrale Sweta Nedelja.

Ein besonderes Interesse galt der Straßenbahn in Sofia: Die Straßenbahnen sind oft ziemlich alt und haben schon viele Jahre auf dem Buckel. Manchmal wirkt es so, als hätten sie ihre besten Tage vor Jahrzehnten gehabt. Die Sitze quietschen, die Türen schließen nicht immer zuverlässig, und der Fahrkomfort erinnert eher an eine nostalgische Achterbahnfahrt als an modernes Stadtverkehrsgefühl. :)
Natürlich durfte auch ein Abstecher in einen Supermarkt nicht fehlen – wir wollten ja wissen, was es hier so zu knabbern gibt. Mit einer kleinen Tüte voller Snacks verließen wir den Laden und ließen den Tag gemütlich ausklingen. Und dann das Highlight: Auf offener Straße wurde plötzlich gratis Bier verteilt – einfach so! Kein Wasser, kein Saft, sondern Bier. Ich konnte mir nur denken: „Na gut, Bulgarien, du machst also keine halben Sachen – hier heißt es wohl: Hitze bekämpfen mit Hopfen, nicht mit H2O!“ Prost also auf einen unerwartet erfrischenden, wenn auch leicht alkoholischen Abschluss unseres ersten Tages!
Sofia-Tag 2
Am nächsten Morgen, nach einem stärkenden Frühstück, machten wir uns auf den Weg in die Stadt. Unser erstes Ziel war die Oper von Sofia und schon hier wurden wir etwas irritiert, denn alle Vorstellungen waren auf Deutsch angeschrieben. Ein kurzer Blick ins Internet klärte auf: Deutsch ist in Bulgarien nach Englisch die zweithäufigste Fremdsprache, die in Schulen gelernt wird.
Weiter ging es zur Sophienkirche, einem der ältesten christlichen Bauwerke in der Stadt, dessen schlichtes, aber ehrwürdiges Äußeres eine spannende Gegenüberstellung zur prunkvollen dahinterstehenden Alexander-Newski-Kathedrale bildet. Diese Kathedrale ist ein wahres Wahrzeichen Sofias: Mit ihren goldenen Kuppeln und der imposanten Fassade beeindruckt sie nicht nur durch ihre Größe, sondern auch durch ihre Bedeutung als Ort der orthodoxen Spiritualität und bulgarischen Geschichte.

Vom Alexander-Newski spazierten wir durch den Crystal Garden, ein kleiner, aber feiner Park, der uns zur russischen Kirche Sveti Nikolay führte. Diese Kirche, mit ihren bunten Kuppeln und der ruhigen Atmosphäre, wirkte fast wie ein kleines Stück Russland mitten in Sofia und lud zum Verweilen ein. Die Hitze von mittlerweile 38 Grad trieb uns dann in den Stadtgarten vor dem Nationaltheater, wo wir eine kleine Pause einlegten. Um den Flüssigkeitsverlust zu bekämpfen, gönnten ich mir einen Mango Iced Matcha Latte – ja, auch in Bulgarien gibt es diesen hippen Trenddrink!

Gestärkt marschierten wir weiter durch den Zentralpark zum Nationalen Kulturpalast, einem riesigen, modernistischen Gebäude, das als kulturelles Herz der Stadt dient und zahlreiche Veranstaltungen beherbergt. Von dort schlenderten wir entlang des Vitosha Boulevard, der lebendigen Einkaufsstraße Sofias, mit herrlichem Blick auf das Vitosha-Gebirge.

Als die Sonne immer stärker brannte, entschieden wir uns, am späten Nachmittag in die Sofia Mall zu flüchten, um der Hitze zu entkommen und ein bisschen zu shoppen. Zwar entdeckten wir einige neue, unbekannte Geschäfte, aber gekauft haben wir nichts – Hauptsache, es war kühl. Den Tag ließen wir schließlich bei der Restaurantkette Happy gemütlich ausklingen, wo wir hervorragend aßen. Ganz ehrlich: Happy kann was! Ein perfekter Abschluss eines weiteren intensiven, heißen, aber wunderbaren Tages in Sofia.
Mit dem Suzuki Swift durch Bulgarien
Am nächsten Morgen starteten wir gut gelaunt mit unserem Taxi zum Flughafen Sofia, um dort unseren Mietwagen für die kommenden drei Tage abzuholen. Vorab hatte ich noch schnell bei Google Maps nachgeschaut – angeblich sei die Mietwagenagentur am Terminal 1. Voller Zuversicht landeten wir dort, doch nach einer verzweifelten Suche mussten wir feststellen: Falsches Terminal! Zum Glück gibt es einen kostenlosen Shuttle zum Terminal 2, der uns dann nach einer kleinen Odyssee und rund einer Stunde Verspätung endlich zu unserer Mietwagenagentur brachte. Unser Gefährt für die nächsten Tage: ein quirliger Suzuki Swift, der uns sicher und treu begleiten sollte.
Erstes Ziel des Tages war die Bojana Kirche, ein kleines UNESCO-Weltkulturerbe, das für seine beeindruckenden mittelalterlichen Fresken bekannt ist. Sagen wir mal so: „Kann man gesehen haben, muss man aber nicht unbedingt gesehen haben.“ Die Kirche ist schön, aber definitiv eher ein Geheimtipp für Liebhaber von Geschichte und Kunst.
Nach einer längeren Autofahrt erreichten wir schließlich das Rilakloster, das majestätisch und geheimnisvoll zwischen den Bergen versteckt liegt. Dieses orthodoxe Kloster ist nicht nur das größte in Bulgarien, sondern auch ein spirituelles Zentrum mit beeindruckender Architektur und einer friedlichen Atmosphäre, die einen sofort in den Bann zieht. Hier spürt man förmlich die jahrhundertealte Geschichte und die Ruhe, die dieser Ort ausstrahlt – ein perfekter Kontrast zum lebhaften Sofia und ein wahrer Schatz, den man sich nicht entgehen lassen sollte.

Bei einer netten Dame tankten wir dann unseren Suzuki Swift und nutzten gleich die Gelegenheit, ihre Toilette aufzusuchen. Und hier muss ich wirklich mal ein Lob loswerden: Jede Toilette, die wir in Bulgarien besucht haben, war gratis, sauber und vor allem komplett ausgestattet – Seife, Klopapier, alles da! Das ist bei Reisen heutzutage leider keine Selbstverständlichkeit mehr, also hoch lebe Bulgarien!
Weiter ging’s zu unserem nächsten Ziel: unserem Hotel im Rilagebirge. Die Straßen wurden zunehmend wilder und abenteuerlicher, doch der Verkehr hier überraschte uns positiv. Die Autofahrer waren extrem aufmerksam und zivilisiert, Fußgänger hatten immer Vorrang – ein Verhalten, das man so nicht überall findet. Klar, die Straßen sind nicht die besten und schlecht markiert, aber sie funktionieren überraschend gut! Kurz vor unserem Hotel gönnten wir uns noch eine leckere Pizza – und ja, das Essen in Bulgarien kann wirklich was, schon zum zweiten Mal durften wir uns davon überzeugen!
Party statt Ruhe – Unser Hotel im Rilagebirge überrascht uns
Unser Hotel im Rilagebirge war eigentlich als idyllischer Rückzugsort mitten im Wald gedacht, wo man Ruhe tanken und die Natur genießen kann. Stattdessen wurden wir von einer richtig fetten, lauten bulgarischen Party begrüßt, die im Hotel gefeiert wurde. Da standen wir nun, etwas irritiert und leicht gereizt, und fragten uns, wie lange diese Party wohl andauern würde – immerhin hatten wir für den nächsten Tag eine Wanderung geplant. Beim Hotelier erkundigten wir uns höflich nach dem Party-Status, doch der winkte nur ab: „Nicht mein Problem!“ und versprach, dass spätestens um 21:00 oder 21:30 Uhr Ruhe einkehren würde. Ob wir ihm glauben sollten? Ich war hoffnungsvoll, meine Tante eher skeptisch. Um der Geräuschkulisse zu entkommen, beschlossen wir, noch eine kleine Spaziergang-Runde in der Umgebung zu drehen. Dort gab es kaum Menschen, einige Hotels – und leider auch viele verlassene, verfallene Gebäude. Bulgarien scheint tatsächlich ein Paradies für Lost-Place-Fans zu sein. Schade drum, aber ehrlich gesagt auch spannend, solche versteckten Orte zu entdecken!
Ein Lift, zu wenig Kleingeld und der Held des Tages
Die Party war tatsächlich schon um 22 Uhr vorbei – die Ruhe kehrte zurück und wir starteten gut gestärkt vom Hotel aus zum Parkplatz, dem Ausgangspunkt unserer Wanderung zu den Rilaseen. Wir wussten, dass der Lift 15 Euro pro Person kostet und fürs Parken nochmal 2,50 Euro fällig werden. Clever wie wir waren, tauschten wir in Sofia 40 Euro in bulgarische Lew um. Meine Tante gönnte sich davon sogar noch eine Kleinigkeit – wir hatten ja genug, dachten wir. Doch schon am Parkplatz kam die Überraschung: Statt der erwarteten 2,50 Euro verlangte man plötzlich 3 Euro fürs Parken. Und als wäre das nicht genug, fehlten uns für den Lift 0,50 Euro! :(
Voller Überzeugung, dass wir auch ohne diese 0,50€ hochkommen würden, gingen wir zielgetreu zur Kassa. Unsere Notfallidee war die Kartenzahlung. Jedoch „nur Cash“ war das Zauberwort an der Kasse. Die Kommunikation mit der Angestellten war ein einziges Chaos: Sie kein Wort Englisch, wir kein Wort Bulgarisch. Was wir verstanden: Ohne den kompletten Betrag geht hier nichts. Fast wollte ich schon sagen, dass meine Tante den Lift nehmen soll und ich zu Fuß gehe, als hinter uns ein Mann unser Dilemma erkannte. Nach ein bisschen Verständigung gab er uns die fehlenden 0,50 Euro – ein echter Held in der Not! Solche Menschen machen Reisen einfach unvergesslich. Danke, lieber unbekannter Retter!
Sieben Seen und ein Moment voller Stille
Oben mit dem Lift angekommen, machten wir uns gemeinsam mit ein paar anderen Wanderern auf den Weg zu den berühmten sieben Rilaseen. Das Wetter zeigte sich leider von seiner kühlen Seite – 12 Grad, windig und wolkenverhangen. Nach den knapp 40 Grad der letzten Tage fühlte ich mich eher wie im Winterurlaub. Die Seen tauchten nach und nach zwischen den Bergen auf, jeder Anstieg belohnte uns mit einem neuen glitzernden Gewässer. Ganz oben bot sich uns dann das volle Panorama: alle sieben Seen auf einmal – wunderschön und frisch, aber irgendwie fehlte der erwartete „Wow“-Effekt.
Ich stand dort und spürte eine leise Schwere in meiner Brust. Nach Jahren des Träumens, endlich an diesem Ort zu sein, fühlte ich nicht die große Freude oder das überwältigende Staunen, das ich mir erhofft hatte. Michi war in diesem Moment so nah – und doch unendlich fern. Sein Verlust zieht sich durch mein Leben wie ein stiller Schatten, der nie verschwindet. Manchmal, genau wie hier, spüre ich eine Leere, die Worte nicht füllen können. Ich bin hier. Ich habe es geschafft, diesen Traum zu leben – trotz der Traurigkeit, trotz der Zweifel.
Die einzige Almhütte auf der Wanderung überraschte uns mit bulgarischer Disco-Musik vom Feinsten – ein unerwarteter, aber sehr lustiger Kontrast zur Naturidylle. Bei einem Getränk ließen wir den Tag ausklingen, bevor wir uns in den uralten Sessellift setzten, der in Österreich wohl keine Lizenz mehr bekäme – ein wackliger, langsamer aber charmanter Rückweg. Den Abschluss des Tages feierten wir in einem typisch bulgarischen Restaurant, das mit bodenständiger Küche fast ganz punktete. Ein Tag voller Gegensätze, Gefühle und Erlebnisse, die uns noch lange begleiten werden.
Abschied mit Aussicht: Letzter Tag im Vitosha-Gebirge
Am letzten Tag starteten wir ganz entspannt mit einem gemütlichen Frühstück, bevor wir uns aufmachten, das Vitosha-Gebirge zu erkunden. Von dort oben hat man einen atemberaubenden Blick über Sofia. Was uns unterwegs besonders auffiel: Bulgarien ist riesig und unglaublich weitläufig. Zwischen den Städten und Ortschaften liegen oft lange Strecken mit absolut nichts – keine Vororte, keine vereinzelten Häuser, einfach nur Weite.
Diese Klarheit und Weite hat etwas Faszinierendes.

Nach dem Naturgenuss ging es noch zu einem Asics-Outlet, wo sich zumindest einer von uns ein kleines Geschenk gönnte – und nein, ich war es nicht. :)
Zum krönenden Abschluss schnappten wir uns bei Happy Grill ein leckeres Essen, bevor wir mit vielen Eindrücken und etwas Wehmut wieder zum Flughafen fuhren. Ein perfektes Ende für eine diese Reise.
Fazit
Was bleibt von dieser Reise?
Es bleibt das Gefühl, etwas über Bord geworfen zu haben – nämlich Vorurteile. Über ein Land, das oft zu unrecht übersehen wird. Bulgarien ist nicht nur grün, sauber und kulturell reich – es ist auch chaotisch herzlich, ein bisschen schräg und so viel mehr als „günstig“.
Es bleibt die Erinnerung an Menschen, die helfen, ohne zu fragen. An eine Stadt, die Bier verschenkt, wenn du Wasser brauchst. An Wanderungen, die kälter waren als geplant – und stiller, als erwartet. Und an eine Party im Waldhotel, die einem die Ruhe nahm, aber die Geschichte dafür umso unterhaltsamer machte.
Es bleibt auch ein leiser Gedanke an jemanden, der gefehlt hat – und die Erkenntnis, dass man trotzdem gehen kann. Trotz Schmerz, trotz Lücken im Herzen. Weil Erleben manchmal das Einzige ist, was hilft.















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